MUSS ESCHER WEG?
"Und was hältst du als Historiker von der Debatte über die Statuen?" - Ich finde die Debatte ehrlich gesagt ziemlich geil. Wir haben die Dinger jahrelang ignoriert und plötzlich fangen wir an, über sie zu sprechen. Grossartig! Es gibt nämlich einige coole Statuen-Stories.
- Am Tell von Altdorf ist das Wichtigste nicht die Armbrust, sondern das Datum unter Tells Füssen: 1307. Die Urner stritten sich im 19. Jahrhundert nämlich mit Bern über das Gründungsdatum der Schweiz. Bern propagierte 1291 (Bundesbrief), die Innerschweizer 1307 (Rütlischwur). Gebracht hat's nichts, 1291 setzte sich durch. - Die Helvetia von Basel wiederum dreht sich ums Ausbrechen. Unsere Landesmamsell packt den Koffer und geht auf Reisen. Sie sitzt am Ende der Brücke und blickt rheinabwärts ins Ausland. - Die Berner Helvetia hingegen ist gar keine Helvetia sondern das Welttelegraphendenkmal. Dieses wurde der Stadt von der Welttelegraphenunion aufgenötigt. Eigentlich hätte Paris das Ding nehmen müssen, die Franzosen schoben aber Bern vor und hier verstellt der Klotz nun einen Platz, der eigentlich hübsch sein könnte. Trotzdem traut man sich nicht, das Denkmal zu schleifen. - Der Löwe von Luzern feiert die Verteidigung der Monarchie gegen das Volk, was an sich unentschuldbar ist, aber die Skulptur ist so rührend, dass man es ihr seit zwei Jahrhunderten durchgehen lässt. Und das von einem Bildhauer, der nie einen echten Löwen gesehen hat. - Das Escher-Denkmal von Zürich wurde unvorsichtigerweise schon 7 Jahre nach Eschers Tod aufgestellt. Dummerweise gab's da noch recht viele Leute, die mit Escher eine Rechnung offen hatten und so musste bei der Einweihung die Armee die Plastik gegen aufgebrachte Arbeiter schützen. Gerade das Escher-Beispiel zeigt, dass die Möblierung des öffentlichen Raums weder neutral, noch zufällig ist. Die Frage ist stets, wer die Macht hat, sein Geschichtsbild, seine Vorstellung davon, was gedenkenswürdig ist, durchzusetzen. (Es ist ein bisschen wie mit den Strassennamen). Wer sind wir? Worauf berufen wir uns? Wie stellen wir uns dar? Und wer gehört zu diesem "wir" alles dazu? Ich finde die Escher-Diskussion wertvoll. Und persönlich finde ich nicht, dass er weg muss. Aber ich würde ihn mit einigen Kaffeebäumen ergänzen. Wenn ich's mir recht überlege sollten es sogar ziemlich viele, ziemlich grosse Kaffeebäume sein. Es ist eine Chance: Wir können Escher stehen lassen und zugleich öffentlich anerkennen, dass die Schweiz den Kolonialismus nicht nur vom Hörensagen kennt. PS. Bei der Mohrenkopf-Frage ist die Antwort übrigens einfach: Das Wort ist passé. Es ist rassistisch und weder das Argument "ich habe es nicht rassistisch gemeint", noch "ich wusste gar nicht, dass es rassistisch ist" ziehen. Aber wie eigentlich immer im Leben hilft auch hier etwas historische Perspektive. Schauen wir uns an, was mit dem "Neger" passiert ist. Unsere Grosseltern haben kapiert, dass das Wort nicht nett ist, unsere Eltern haben es sich verkniffen und wir (endlich!) haben es nur noch im Passivwortschatz. Bei den Mohrenköpfen sind wir die Grosseltern. Simple as that. - Haben unsere Vorfahren oft "Neger" gedacht und "Afrikaner" gesagt? Ziemlich sicher ja. Werden wir "Mohrenkopf" denken und "Schoggikuss" sagen? Sure as hell. Ist es das wert? Keine Ahnung, kommt halt drauf an, was man von Menschlichkeit hält. PPS. Simpel ist auch die Sache mit dem Agassiz-Horn. Das nennen wir künftig Welttelegraphenberg, stellen das klobige Denkmal auf den Gipfel und montieren da noch eine 50m hohe 5G-Antenne drauf. So kriegen wir nämlich einen weiteren 4000er und in Bern haben wir endlich Platz für eine richtige Helvetia. Und zwar eine Streikende. Happy Frauenstreik-Tag, liebe Leute! |