Meine Grossmutter und Q-Anon
Zwei Dinge haben meine Grossmutter wirklich beeindruckt: Zeppeline und Geisterbeschwörungen.
Jawoll, Louise hat bei spiritistischen Séancen mitgemacht. Gläser- und Tischerücken waren damals in Mode. Bei ersterem legte man die Finger auf ein Glas, das sich dann wie von Zauberhand über ein Ouija-Brett mit Zahlen und Buchstaben bewegte. Bei zweiterem legte man die Hände auf den Tisch, sagte das Alphabet auf und schaute, wann der Tisch reagierte. Louise war aufgeregt und fühlte sich gruselig. Dass es manchmal wild zuging, erkannte ich nur schon an ihrem Blick, als sie mir Jahre später davon erzählte. Einmal, berichtete sie, sei der Tisch so herumgesprungen, dass er schliesslich kaputtging.
Geisterbeschwörungen waren Pop, bevor Pop Pop hiess. Man betrieb sie auf Dates und mit Freunden und Kreative nutzten sie zur Inspiration. Das Phänomen lässt sich leicht erklären: Die Beschwörer merken nicht, dass sie es sind, die das Glas oder den Tisch bewegen und an genau diesen spiritistischen Humbug erinnert mich der heutige Verschwörungskram. Auch hier merken die Adepten nicht, dass sie selbst den Spuk betreiben. – «It’s just a game, isn’t it?» war der Ouija-Brett-Slogan. Und die beste Aluhut-Analyse, die ich bislang gelesen habe, stammt ausgerechnet von einem Gamedesigner.
Verschwörungstheorien sind eine Mischung aus Escape-Rooms und Pokémon-Go. Man versucht Rätsel zu lösen (cool!), aber das Spielbrett sind nicht bloss ein paar präparierte Zimmer, sondern die ganze reale Welt (super cool!). Das ist enorm spannend und schweisst die Spieler wunderbar zusammen. Wer Teil des Games ist, ist Teil der Gang - wer nicht, hat keine Ahnung. (Ok, ich erhöhe auf Escape-Rooms, Pokémon-Go und Kelly-Family). Im Hirn dürften Verschwörungstheorien ähnlich wirken, wie Pornos, Liebe, Drogen und der ganze andere Shit: Sie geben Dopamin-Kicks und machen süchtig.
Verschwörungsjünger verhalten sich wie Spiel- oder Drogensüchtige. Sie vernachlässigen anderes und konsumieren mit der Zeit immer härteren Stoff. Anfangs gruselt man sich ein bisschen zu Freimaurersymbolen oder 9/11, dann landet man bei Daniele-«ich stelle ja nur Fragen»-Ganser und drei Klicks später erklären einem Breitbart, RT und OAN, dass Echsenmenschen über eine flache Erde herrschen. Wie bei anderen Substanzen fällt auch hier nicht jeder ins Rabbit Hole. Aber die, die’s erwischt, erwischts heutzutage schwer.
Auch QAnon hat als Spiel begonnen. Als Fan-Fiction auf 4Chan. Das Spiel hiess «wir basteln uns eine Verschwörung». Es gab FBIAnon, WhiteHouseAnon, CIAAnon, QAnon und die Story war immer dieselbe: Ein anonymer Insider liefert der Welt kryptische Botschaften, welche die Spieler entschlüsseln müssen, um die grosse Kabale zu durchschauen. Es war ein kollaborativer Schreibworkshop; ein Geblödel unter Kumpels. Einer rief «Soros!», der nächste «Chemtrails!», der dritte «5G!». Wer als «Q» posten wollte, loggte sich mit dem Q-Account ein und setzte eine Nachricht ab. Das Passwort war allgemein bekannt – es war «Matlock».
Was «Q» von anderen «Anons» unterschied, war das Marketing. Dieses hatte bereits Ouija zum Durchbruch verholfen. Als Q immer beliebter wurde, beschlossen einige Leute, es zum Geschäft zu machen. Sie hausierten mit ihren Thesen bei Talk-Radio- und TV-Stationen, zügelten von 4Chan zu Reddit zu Youtube, Facebook und Twitter und erschlossen sich so ein immer grösseres Kundensegment. Und «Q» schaffte es, alle möglichen Verschwörungen zu inkludieren. Hillary Clintons Pädophilen-Pizzeria? Bill Gates’ Griff nach der Weltherrschaft? Autismus durch Impfung? Corona als geplantes Ereignis? Inzwischen gehört alles dazu. Aufgrund seiner Masse saugt Q heute Verschwörungen auf, wie Schwarze Löcher das Licht. Begünstigt wird das auch durch die Mechanik der Algorithmen, die Impfskeptiker mit Chemtrailern und Reichsbürgern verknüpft. Und plötzlich marschieren Birkenstöcke neben Kampfstiefeln. Q’s erste Prophezeiung war sehr konkret und sehr offensichtlich falsch. Daraus haben die Macher gelernt und auf vage Andeutungen umgestellt, mit denen die Anhänger ihre eigenen Recherchen machen sollen. Entscheidender Vorteil: Was man sich selbst erarbeitet hat, sitzt besser.
«Wenn Du im Goldrausch Geld machen willst, verkauf Schaufeln». Mit Fans alleine lässt sich wenig verdienen, wohl aber mit Merchandise, Werbung und Spenden. Aber Geld ist nicht alles. Noch interessanter ist Q als politisches Tool. Spätestens hier wird klar: Der Verschwörungshype ist nicht organisch. Q ist kein übergewichtiger Teenager in der Garage seiner Eltern, dessen kryptische Messages rein zufällig klingen, wie die Flöte des Rattenfängers von Hameln. Man kann heute mit einem lustigen Video, einem witzigen Tweet viral gehen – und ist morgen vergessen. Um einen Hype zu kreieren braucht es mehr als nur Glück. Um ihn am Laufen zu halten, viel mehr. Die grossen Tech-Unternehmen haben kürzlich auf einen Schlag tausende Verschwörungs-Gruppen, -Seiten und -Accounts gelöscht. Wenige Tage später trat der mächtigste Mann der Welt vor die Kameras und sicherte den Q-Jüngern seine Unterstützung zu.
Was als Spass begonnen hat, entwickelt sich zur Sekte. Für ihre Anhänger sind die Verschwörungsgeschichten echt. Inzwischen verkündet «Q» Missionierungsaufträge und der Kult wird nicht erst seit der Wahl Marjorie Taylor Greenes in den US-Kongress auch politisch relevant. Ein Kumpel von mir hat einen Bruder an die Sekte verloren, eine Facebook-Freundin hat antisemitischen Müll gepostet und mich nach meiner Intervention geblockt. Eine Schriftstellerin, Juristin, mein Gott. Mit Logik und Argumenten gewinnt man auf dem Spielfeld der gemeinsam akzeptierten Fakten. Was es hier bräuchte, sind Ausstiegs- und Deradikalisierungsprogramme.
Wenn ich’s mir recht überlege, gleichen die Verschwörungsgeschichten nur noch bedingt der spiritistischen Spielerei, die meine Grossmutter so beeindruckt hat – dafür immer mehr einer riesigen Masse hochexplosiver Gase.
Quellen:
Game-Design-Artikel: https://medium.com/.../a-game-designers-analysis-of-qanon...
Podcast: https://thepodcastplayground.com/.../faqanon-with-brandy.../
Korrigendum: Wie mir mein älterer Bruder Markus im Nachhinein erklärte, habe ich ein Gnusch gemacht. Ich erinnerte mich zwar richtig, dass Louise sehr beeindruckt vom zerstörten Tisch erzählt hat, beim Tischerücken dabei gewesen ist allerdings nicht meine Grossmutter, sondern meine Grosstante. Nicht, dass ich da Unwahrheiten über Louise verbreite!
Jawoll, Louise hat bei spiritistischen Séancen mitgemacht. Gläser- und Tischerücken waren damals in Mode. Bei ersterem legte man die Finger auf ein Glas, das sich dann wie von Zauberhand über ein Ouija-Brett mit Zahlen und Buchstaben bewegte. Bei zweiterem legte man die Hände auf den Tisch, sagte das Alphabet auf und schaute, wann der Tisch reagierte. Louise war aufgeregt und fühlte sich gruselig. Dass es manchmal wild zuging, erkannte ich nur schon an ihrem Blick, als sie mir Jahre später davon erzählte. Einmal, berichtete sie, sei der Tisch so herumgesprungen, dass er schliesslich kaputtging.
Geisterbeschwörungen waren Pop, bevor Pop Pop hiess. Man betrieb sie auf Dates und mit Freunden und Kreative nutzten sie zur Inspiration. Das Phänomen lässt sich leicht erklären: Die Beschwörer merken nicht, dass sie es sind, die das Glas oder den Tisch bewegen und an genau diesen spiritistischen Humbug erinnert mich der heutige Verschwörungskram. Auch hier merken die Adepten nicht, dass sie selbst den Spuk betreiben. – «It’s just a game, isn’t it?» war der Ouija-Brett-Slogan. Und die beste Aluhut-Analyse, die ich bislang gelesen habe, stammt ausgerechnet von einem Gamedesigner.
Verschwörungstheorien sind eine Mischung aus Escape-Rooms und Pokémon-Go. Man versucht Rätsel zu lösen (cool!), aber das Spielbrett sind nicht bloss ein paar präparierte Zimmer, sondern die ganze reale Welt (super cool!). Das ist enorm spannend und schweisst die Spieler wunderbar zusammen. Wer Teil des Games ist, ist Teil der Gang - wer nicht, hat keine Ahnung. (Ok, ich erhöhe auf Escape-Rooms, Pokémon-Go und Kelly-Family). Im Hirn dürften Verschwörungstheorien ähnlich wirken, wie Pornos, Liebe, Drogen und der ganze andere Shit: Sie geben Dopamin-Kicks und machen süchtig.
Verschwörungsjünger verhalten sich wie Spiel- oder Drogensüchtige. Sie vernachlässigen anderes und konsumieren mit der Zeit immer härteren Stoff. Anfangs gruselt man sich ein bisschen zu Freimaurersymbolen oder 9/11, dann landet man bei Daniele-«ich stelle ja nur Fragen»-Ganser und drei Klicks später erklären einem Breitbart, RT und OAN, dass Echsenmenschen über eine flache Erde herrschen. Wie bei anderen Substanzen fällt auch hier nicht jeder ins Rabbit Hole. Aber die, die’s erwischt, erwischts heutzutage schwer.
Auch QAnon hat als Spiel begonnen. Als Fan-Fiction auf 4Chan. Das Spiel hiess «wir basteln uns eine Verschwörung». Es gab FBIAnon, WhiteHouseAnon, CIAAnon, QAnon und die Story war immer dieselbe: Ein anonymer Insider liefert der Welt kryptische Botschaften, welche die Spieler entschlüsseln müssen, um die grosse Kabale zu durchschauen. Es war ein kollaborativer Schreibworkshop; ein Geblödel unter Kumpels. Einer rief «Soros!», der nächste «Chemtrails!», der dritte «5G!». Wer als «Q» posten wollte, loggte sich mit dem Q-Account ein und setzte eine Nachricht ab. Das Passwort war allgemein bekannt – es war «Matlock».
Was «Q» von anderen «Anons» unterschied, war das Marketing. Dieses hatte bereits Ouija zum Durchbruch verholfen. Als Q immer beliebter wurde, beschlossen einige Leute, es zum Geschäft zu machen. Sie hausierten mit ihren Thesen bei Talk-Radio- und TV-Stationen, zügelten von 4Chan zu Reddit zu Youtube, Facebook und Twitter und erschlossen sich so ein immer grösseres Kundensegment. Und «Q» schaffte es, alle möglichen Verschwörungen zu inkludieren. Hillary Clintons Pädophilen-Pizzeria? Bill Gates’ Griff nach der Weltherrschaft? Autismus durch Impfung? Corona als geplantes Ereignis? Inzwischen gehört alles dazu. Aufgrund seiner Masse saugt Q heute Verschwörungen auf, wie Schwarze Löcher das Licht. Begünstigt wird das auch durch die Mechanik der Algorithmen, die Impfskeptiker mit Chemtrailern und Reichsbürgern verknüpft. Und plötzlich marschieren Birkenstöcke neben Kampfstiefeln. Q’s erste Prophezeiung war sehr konkret und sehr offensichtlich falsch. Daraus haben die Macher gelernt und auf vage Andeutungen umgestellt, mit denen die Anhänger ihre eigenen Recherchen machen sollen. Entscheidender Vorteil: Was man sich selbst erarbeitet hat, sitzt besser.
«Wenn Du im Goldrausch Geld machen willst, verkauf Schaufeln». Mit Fans alleine lässt sich wenig verdienen, wohl aber mit Merchandise, Werbung und Spenden. Aber Geld ist nicht alles. Noch interessanter ist Q als politisches Tool. Spätestens hier wird klar: Der Verschwörungshype ist nicht organisch. Q ist kein übergewichtiger Teenager in der Garage seiner Eltern, dessen kryptische Messages rein zufällig klingen, wie die Flöte des Rattenfängers von Hameln. Man kann heute mit einem lustigen Video, einem witzigen Tweet viral gehen – und ist morgen vergessen. Um einen Hype zu kreieren braucht es mehr als nur Glück. Um ihn am Laufen zu halten, viel mehr. Die grossen Tech-Unternehmen haben kürzlich auf einen Schlag tausende Verschwörungs-Gruppen, -Seiten und -Accounts gelöscht. Wenige Tage später trat der mächtigste Mann der Welt vor die Kameras und sicherte den Q-Jüngern seine Unterstützung zu.
Was als Spass begonnen hat, entwickelt sich zur Sekte. Für ihre Anhänger sind die Verschwörungsgeschichten echt. Inzwischen verkündet «Q» Missionierungsaufträge und der Kult wird nicht erst seit der Wahl Marjorie Taylor Greenes in den US-Kongress auch politisch relevant. Ein Kumpel von mir hat einen Bruder an die Sekte verloren, eine Facebook-Freundin hat antisemitischen Müll gepostet und mich nach meiner Intervention geblockt. Eine Schriftstellerin, Juristin, mein Gott. Mit Logik und Argumenten gewinnt man auf dem Spielfeld der gemeinsam akzeptierten Fakten. Was es hier bräuchte, sind Ausstiegs- und Deradikalisierungsprogramme.
Wenn ich’s mir recht überlege, gleichen die Verschwörungsgeschichten nur noch bedingt der spiritistischen Spielerei, die meine Grossmutter so beeindruckt hat – dafür immer mehr einer riesigen Masse hochexplosiver Gase.
Quellen:
Game-Design-Artikel: https://medium.com/.../a-game-designers-analysis-of-qanon...
Podcast: https://thepodcastplayground.com/.../faqanon-with-brandy.../
Korrigendum: Wie mir mein älterer Bruder Markus im Nachhinein erklärte, habe ich ein Gnusch gemacht. Ich erinnerte mich zwar richtig, dass Louise sehr beeindruckt vom zerstörten Tisch erzählt hat, beim Tischerücken dabei gewesen ist allerdings nicht meine Grossmutter, sondern meine Grosstante. Nicht, dass ich da Unwahrheiten über Louise verbreite!