Raus hier!
Die Geschichte des Picknicks - oder von der Sehnsucht nach Liebe, Luft und kaltem Kalbsbraten.
Kuddelmuddel, Larifari, Rambazamba: Das Wörtchen «Picknick» funktioniert, wie sonst nur Kinderworte. Ein Zufall? Vermutlich nicht. Denn das Picknick ist immer ein Spiel, heiter und unbeschwert. Kinder spielen «Essen» ohne Lebensmittel. Erwachsene spielen es ohne Tische und Besteck.
Wir träumen selten von den Dingen, die wir haben. Wer ohnehin draussen simple Speisen zu sich nahm, nannte dies früher nicht Picknick, sondern Rast. Und träumte von einer opulenten Tafel in einem noblen Palast. Der Dichter Vergil hingegen, der in Palästen lebte, sehnte sich nach den kulinarischen Genüssen einfacher Hirten. Und Caterina de’ Medici beschloss viele Jahrhunderte später, es Bauern und Bettlern gleich zu tun und ebenfalls im Freien zu essen – wozu sie jeweils ihr halbes Mobiliar in ihre Parks räumen liess.
Caterina’s Laune wurde zur Mode des Barock. An Königs- und Fürstenhöfen wurden grandiose Open-Air-Bankette veranstaltet. Mit Speisen und Getränken, Schauspiel und Tanz, Wasserspielen und Feuerwerk. Dann veränderte sich die Idee: Immer öfter trafen sich kleine Gruppen der Pariser und Londoner Noblesse in Parks zu unkomplizierten Picknicks. Denn nicht der Prunk machte das Essen im Grünen attraktiv, sondern die anwesenden Frauen und Männer – sowie die abwesenden gesellschaftlichen Regeln.
Wieviel sinnlicher war doch das lockere Beisammensein im Gras als das starre Sitzen an förmlichen Tafeln. Wie sehr verleitete die ungewohnte Umgebung zu Schalk und Spässen. Wie einfach kam man sich in diesem Rahmen näher. Und wie leicht verrutschte da und dort ein Hemd oder ein Rocksaum. «Von Picknicks ist abzuraten», erklärte deshalb die Baronesse de Staffe. «Es herrscht eine geradezu leichtfertige Ungezwungenheit, die nur allzu leicht zu Unschicklichkeiten führen kann.»
Die allermeisten Picknicks waren indes weder anstössig, noch besonders aufregend und so beschäftigten sich nicht nur Sittenwächter, sondern auch Spötter mit der Mode. Offenbar gebe es nichts Vergnüglicheres, als in unbequemer Position, ungeschützt vor Hitze und Regen, kalten Kalbsbraten zu essen, meinten manche. Und andere stänkerten: So viele Gäste man einlade, so viele Kalbsbraten würden mitgebracht. Die feinsinnigste Satire zum Picknick aber handelt von keinem Geringeren als Jesus. Er verköstigte mit fünf Broten und zwei Fischen fünftausend Menschen und sammelte anschliessend noch zwölf Körbe mit Resten ein. Ein typisches Picknick-Phänomen: Am Anfang hat man scheinbar zu wenig und am Ende immer zu viel.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts veränderte sich das Picknick erneut. Immer mehr Menschen lebten in Städten, waren Rauch, Russ und schlechter Luft ausgesetzt und sehnten sich nach Ausflügen in die Natur. Nebst noblen Herrschaften picknickten nun also auch Arbeiterinnen und Arbeiter. Und da sie kein Dienstpersonal hatten, das ihnen fertige Menus einpackte, rösteten und brieten sie Brot und Würste direkt über dem Feuer.
Auch der technische Fortschritt hat das Picknick verändert. Es begann mit faltbaren Messern und Gabeln, später kamen ebensolche Tische und Stühle hinzu. Clevere Küchenchefs füllten Aluminiumtuben (die bislang nur für Ölfarben verwendet worden waren) mit Mayonnaise oder Senf. 1892 kam die verschliessbare Mineralwasserlasche auf den Markt und 1908 erfand ein Schweizer Chemiker die Zellophan-Folie. 1946 entwickelte ein Amerikaner namens Mr. Tupper eine verschliessbare Salatschüssel und 1970 kam ein weiterer Impuls vom Patentamt: Der Schutz der Thermosflasche lief ab und das praktische Gerät wurde auch für gewöhnliche Leute erschwinglich.
Das Picknick ist heute ein globales Phänomen. Im englischen Ascot speisen Lords und Ladies mit extravaganten Hüten auf dem Rasen neben der Pferderennbahn. In Spanien bereitet man Paella über dem Lagerfeuer und amerikanisch Grillmeister sind auf der ewigen Suche nach dem perfekten Barbecue. In Japan trifft man sich im Frühling unter den Kirschbäumen, wenn deren Blütezeit wie eine rosa Welle von Südwesten her über die Inseln wandert. Auch andernorts in Asien sind Picknicks populär, wobei das mongolische Barbecue eine besondere Blüte ist. Weil gebraten wird und nicht grilliert, ist es eigentlich kein Barbecue – und erfunden wurde es in Taiwan.
Bei so vielen Variationen stellt sich zum Schluss die Frage: Was ist ein gutes Picknick? Ein gutes Picknick ist eine improvisierte Spielerei, ein Heilmittel gegen den Ernst des Lebens. Es gibt eine Skizze aus dem 19. Jahrhundert, die das Innere eines Landhauses zeigt. Im Kronleuchter hängen Blätter und Zweige, vor den Fenstern prasselt feiner englischer Regen. Stühle und Tische sind beiseitegeschoben und auf dem Fussboden sitzten vergnügte Leute, trinken Wein und vertilgen Brot, Salar und kalten Kalbsbraten. Genau das ist ein gutes Picknick.
Variationen dieses Textes erschienen in verschiedenen Publikationen.
Kuddelmuddel, Larifari, Rambazamba: Das Wörtchen «Picknick» funktioniert, wie sonst nur Kinderworte. Ein Zufall? Vermutlich nicht. Denn das Picknick ist immer ein Spiel, heiter und unbeschwert. Kinder spielen «Essen» ohne Lebensmittel. Erwachsene spielen es ohne Tische und Besteck.
Wir träumen selten von den Dingen, die wir haben. Wer ohnehin draussen simple Speisen zu sich nahm, nannte dies früher nicht Picknick, sondern Rast. Und träumte von einer opulenten Tafel in einem noblen Palast. Der Dichter Vergil hingegen, der in Palästen lebte, sehnte sich nach den kulinarischen Genüssen einfacher Hirten. Und Caterina de’ Medici beschloss viele Jahrhunderte später, es Bauern und Bettlern gleich zu tun und ebenfalls im Freien zu essen – wozu sie jeweils ihr halbes Mobiliar in ihre Parks räumen liess.
Caterina’s Laune wurde zur Mode des Barock. An Königs- und Fürstenhöfen wurden grandiose Open-Air-Bankette veranstaltet. Mit Speisen und Getränken, Schauspiel und Tanz, Wasserspielen und Feuerwerk. Dann veränderte sich die Idee: Immer öfter trafen sich kleine Gruppen der Pariser und Londoner Noblesse in Parks zu unkomplizierten Picknicks. Denn nicht der Prunk machte das Essen im Grünen attraktiv, sondern die anwesenden Frauen und Männer – sowie die abwesenden gesellschaftlichen Regeln.
Wieviel sinnlicher war doch das lockere Beisammensein im Gras als das starre Sitzen an förmlichen Tafeln. Wie sehr verleitete die ungewohnte Umgebung zu Schalk und Spässen. Wie einfach kam man sich in diesem Rahmen näher. Und wie leicht verrutschte da und dort ein Hemd oder ein Rocksaum. «Von Picknicks ist abzuraten», erklärte deshalb die Baronesse de Staffe. «Es herrscht eine geradezu leichtfertige Ungezwungenheit, die nur allzu leicht zu Unschicklichkeiten führen kann.»
Die allermeisten Picknicks waren indes weder anstössig, noch besonders aufregend und so beschäftigten sich nicht nur Sittenwächter, sondern auch Spötter mit der Mode. Offenbar gebe es nichts Vergnüglicheres, als in unbequemer Position, ungeschützt vor Hitze und Regen, kalten Kalbsbraten zu essen, meinten manche. Und andere stänkerten: So viele Gäste man einlade, so viele Kalbsbraten würden mitgebracht. Die feinsinnigste Satire zum Picknick aber handelt von keinem Geringeren als Jesus. Er verköstigte mit fünf Broten und zwei Fischen fünftausend Menschen und sammelte anschliessend noch zwölf Körbe mit Resten ein. Ein typisches Picknick-Phänomen: Am Anfang hat man scheinbar zu wenig und am Ende immer zu viel.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts veränderte sich das Picknick erneut. Immer mehr Menschen lebten in Städten, waren Rauch, Russ und schlechter Luft ausgesetzt und sehnten sich nach Ausflügen in die Natur. Nebst noblen Herrschaften picknickten nun also auch Arbeiterinnen und Arbeiter. Und da sie kein Dienstpersonal hatten, das ihnen fertige Menus einpackte, rösteten und brieten sie Brot und Würste direkt über dem Feuer.
Auch der technische Fortschritt hat das Picknick verändert. Es begann mit faltbaren Messern und Gabeln, später kamen ebensolche Tische und Stühle hinzu. Clevere Küchenchefs füllten Aluminiumtuben (die bislang nur für Ölfarben verwendet worden waren) mit Mayonnaise oder Senf. 1892 kam die verschliessbare Mineralwasserlasche auf den Markt und 1908 erfand ein Schweizer Chemiker die Zellophan-Folie. 1946 entwickelte ein Amerikaner namens Mr. Tupper eine verschliessbare Salatschüssel und 1970 kam ein weiterer Impuls vom Patentamt: Der Schutz der Thermosflasche lief ab und das praktische Gerät wurde auch für gewöhnliche Leute erschwinglich.
Das Picknick ist heute ein globales Phänomen. Im englischen Ascot speisen Lords und Ladies mit extravaganten Hüten auf dem Rasen neben der Pferderennbahn. In Spanien bereitet man Paella über dem Lagerfeuer und amerikanisch Grillmeister sind auf der ewigen Suche nach dem perfekten Barbecue. In Japan trifft man sich im Frühling unter den Kirschbäumen, wenn deren Blütezeit wie eine rosa Welle von Südwesten her über die Inseln wandert. Auch andernorts in Asien sind Picknicks populär, wobei das mongolische Barbecue eine besondere Blüte ist. Weil gebraten wird und nicht grilliert, ist es eigentlich kein Barbecue – und erfunden wurde es in Taiwan.
Bei so vielen Variationen stellt sich zum Schluss die Frage: Was ist ein gutes Picknick? Ein gutes Picknick ist eine improvisierte Spielerei, ein Heilmittel gegen den Ernst des Lebens. Es gibt eine Skizze aus dem 19. Jahrhundert, die das Innere eines Landhauses zeigt. Im Kronleuchter hängen Blätter und Zweige, vor den Fenstern prasselt feiner englischer Regen. Stühle und Tische sind beiseitegeschoben und auf dem Fussboden sitzten vergnügte Leute, trinken Wein und vertilgen Brot, Salar und kalten Kalbsbraten. Genau das ist ein gutes Picknick.
Variationen dieses Textes erschienen in verschiedenen Publikationen.