200 TRÄUME
Es war mein erster Job und gleich der allerbeste der Welt. Ich wurde Wünscheerfüller. Ich sass in einem schmucklosen Büro in Olten und machte andere Menschen glücklich. Besondere Menschen. Menschen mit einer Behinderung. Draussen hing die Nebeldecke über der träge dahinfliessenden Aare, drinnen machte ich Anrufe und schrieb E-Mails.
200 Wünsche hatten die Leute von Procap gesammelt. 200 Geschichten, 200 Menschen. Ich war neugierig. Und ich lernte, dass man mit einer guten Geschichte überall hinkommen kann. Beispielsweise in den Führerstand. Führerstandsfahrten waren beliebt. Etwa 10 Wünsche hatten wir erhalten und mit jeder einzelnen Person sprach ich am Telefon. So auch mit Kurt. Ich weiss nicht mehr, ob er wirklich Kurt hiess, möglicherweise hiess er auch Ernst, jedenfalls stammte er aus jener Generation, in der man Kurt oder Ernst hiess, einen Schnauz und inzwischen eine Halbglatze trug und als Junge vom Lockführersein geträumt hatte. Kurt war dabei gewesen seinen Traum zu verwirklichen, hatte die Ausführung zum Lokführer absolviert - als er bei einem Unfall beide Beine verlor. Einen Führerstand hatte er nie von innen gesehen. Wäre sein Leben in diesem einen Moment anders verlaufen, Kurt wäre heute ein altgedienter Lokführer. Für die SBB war es schlicht unmöglich, seinen Wunsch abzulehnen. Und wenn man Kurt mitnahm, konnte man die anderen neun ja auch schlecht ablehnen.
Einmal schrieb ich an Bundespräsident Villiger, weil eine politisch engagierte Frau mit ihm sprechen wollte. Ich hatte den Brief schon gedruckt, als ich noch auf Villigers Homepage ging und sah, dass er in einem Nebensatz schrieb, er wolle im Präsidialjahr den Dialog mit der Bevölkerung pflegen. Ich schrieb meinen Brief um und nahm ihn beim Wort. Die Frau hat ihn wirklich getroffen.
Ob sie glücklicher wurde, als die Frau, die mit Dani Fohrler einen Kaffee trinken wollte, die Leute, die mit Maria Walliser turnen wollten, die Frau die Dimitri treffen wollte, wer weiss. Den spektakulärsten Promiwunsch hatte aber definitiv das verrückte Huhn aus Biel. Als totaler Gotthardfan wünschte sich Sandra, mit der Band in der Postkutsche über den Pass zu fahren. Nichts leichter als das. Unsere Medienfrau gab mir die Nummer eines Herrn von Rohr, der verwies mich ans Management im Tessin und dort sagte man, doch, die Band sei dabei. Euphorisiert rief ich die Postkutsche an, dort beschied man mir man sei bis Ende Saison ausgebucht. Also mobilisierte unsere Medienfrau den Blick, Sat1 und die AZ-Medien und schwupps wurde die Saison um einige Tage verlängert. Schliesslich tuckerten wir mit der Band, der Wünschenden und den Pferden an einem strahlenden Septembertag über den Pass. Es war grossartig.
In noch besserer Erinnerung ist mir aber die Geschichte des damals Neunjährigen aus einem Dorf in St. Gallen. Er war ohne Arme geboren worden, spielte leidenschaftlich gern Fussball und war grosser Fan des FC Zürich. Und er wünschte sich, einmal Balljunge beim FCZ zu sein. Es brauchte nicht viel Überzeugungsarbeit und weil womöglich noch Medienleute etwas wissen wollten, ging auch ich zu dem Spiel. Es war fantastisch: Vor dem Spiel konnte der Junge Fotos mit Spielern machen, die andern Balljungen waren neugierig und super nett und Sven Hotz drückte dem Vater spontan zwei Saisonkarten in die Hand. Während des Spiels konnte der Junge (pardon, Namen sind wirklich nicht meine Stärke) den einen oder anderen Ball einem Spieler zukicken und sich über zwei FCZ-Tore freuen. Leider schoss auch der Gegner zwei Kisten - das jedenfalls war der Stand nach 89 Minuten. In der 90. schnappte sich ein Zürcher den Ball und schlenzte ihn ins gegnerische Tor. 3:2. Unser Junge stand gleich neben dem Tor und als der Schiri abgepfiffen hatte, schenkte ihm der Torschütze sein Shirt. Die Zürcher nahmen den Jungen mit in die Garderobe, sagten ihm er sei heute ihr Glücksbringer gewesen und schenkten ihm Bälle und Shirts mit all ihren Unterschriften. Es war ein Riesengeschenk. Als der Junge aus der Garderobe zurückkam, leuchtete er, dass die Stadionscheinwerfer daneben verblassten.
Mein liebster Wunsch aber war einer, über den ich gar nicht soviel weiss. Und auch nicht wissen muss. Sie habe ihr Herz an den Lai da Rims verloren, einen Bergsee, zu dem sie vor Jahren gewandert sei. Nun habe sie nur noch ein Bein und schaffe es nicht mehr da hoch - und würde doch so gern den See nochmals sehen. Was genau die Frau an dem See fand, war ihre Geschichte. Ich musste sie nicht verstehen, ich musste nicht bohren, ich musste nur helfen, es möglich zu machen. "Wir holzen sowieso bald mal dort in der Gegend. Wir können sie mal am morgen mit hoch nehmen und am Abend wieder abholen." beschied man mir bei der Heli Bernina. Voilà.
PS. Noch kurz zu Dani Fohrler: Die beiden trafen sich in einem Café am Bahnhof Bern. Ich war anfangs dabei, damit sie sich sicher fanden. Ich vermutete, dass die Frau mit der Hilfe von Häkeldecken und Porzellanengeln durchs Leben ging - ich hätte keinen Satz mit ihr zu reden gewusst. Hinterher aber rief sie mich an und schwärmte: Es sei gewesen, als hätten sie und der Dani sich schon ein Leben lang gekannt. Fohrler hatte wenig bis nichts von dem Treffen und doch hat er sich die Zeit und die Mühe genommen. Davor ziehe ich meinen Hut.
PPS. Ein Wunsch der nicht in Erfüllung ging, war der nach Pro-Innerstadt-Gutscheinen; einem Basler Lokalbon. Damit sie sich wiedermal eine Freude leisten könne, meinte die Wünschende am Telefon. Pro Innerstadt lehnte ab. Im Nachhinein erfuhr ich, dass die Dame in Basel mehrere Häuser besass. Auch bei den Handicapierten gibt's solche und solche - und ich bin der Frau auf eine seltsame Art dankbar, dass sie mir das demonstrierte.
PPPS. Jahre später bin ich selbst mal in einem Führerstand mitgefahren, weil meine gute Freundin Lea ausgerechnet Lokomotivführerin wurde (ich bin nicht der einzige, der sein Leben nach Alliterationen ausrichtet). Selbstverständlich musste ich an KurtoderErnst denken, als wir so mit 200 Sachen über die Schienen bretterten. Was war ich froh, dass er seinen Wunsch doch noch erfüllen konnte!
PPPPS. Und nein, ich habe beim Schreiben dieses Textes selbstverständlich nicht geheult. Meine Augen haben einfach ein wenig getränt. Wegen dem Rotorenwind der Heli Bernina.
200 Wünsche hatten die Leute von Procap gesammelt. 200 Geschichten, 200 Menschen. Ich war neugierig. Und ich lernte, dass man mit einer guten Geschichte überall hinkommen kann. Beispielsweise in den Führerstand. Führerstandsfahrten waren beliebt. Etwa 10 Wünsche hatten wir erhalten und mit jeder einzelnen Person sprach ich am Telefon. So auch mit Kurt. Ich weiss nicht mehr, ob er wirklich Kurt hiess, möglicherweise hiess er auch Ernst, jedenfalls stammte er aus jener Generation, in der man Kurt oder Ernst hiess, einen Schnauz und inzwischen eine Halbglatze trug und als Junge vom Lockführersein geträumt hatte. Kurt war dabei gewesen seinen Traum zu verwirklichen, hatte die Ausführung zum Lokführer absolviert - als er bei einem Unfall beide Beine verlor. Einen Führerstand hatte er nie von innen gesehen. Wäre sein Leben in diesem einen Moment anders verlaufen, Kurt wäre heute ein altgedienter Lokführer. Für die SBB war es schlicht unmöglich, seinen Wunsch abzulehnen. Und wenn man Kurt mitnahm, konnte man die anderen neun ja auch schlecht ablehnen.
Einmal schrieb ich an Bundespräsident Villiger, weil eine politisch engagierte Frau mit ihm sprechen wollte. Ich hatte den Brief schon gedruckt, als ich noch auf Villigers Homepage ging und sah, dass er in einem Nebensatz schrieb, er wolle im Präsidialjahr den Dialog mit der Bevölkerung pflegen. Ich schrieb meinen Brief um und nahm ihn beim Wort. Die Frau hat ihn wirklich getroffen.
Ob sie glücklicher wurde, als die Frau, die mit Dani Fohrler einen Kaffee trinken wollte, die Leute, die mit Maria Walliser turnen wollten, die Frau die Dimitri treffen wollte, wer weiss. Den spektakulärsten Promiwunsch hatte aber definitiv das verrückte Huhn aus Biel. Als totaler Gotthardfan wünschte sich Sandra, mit der Band in der Postkutsche über den Pass zu fahren. Nichts leichter als das. Unsere Medienfrau gab mir die Nummer eines Herrn von Rohr, der verwies mich ans Management im Tessin und dort sagte man, doch, die Band sei dabei. Euphorisiert rief ich die Postkutsche an, dort beschied man mir man sei bis Ende Saison ausgebucht. Also mobilisierte unsere Medienfrau den Blick, Sat1 und die AZ-Medien und schwupps wurde die Saison um einige Tage verlängert. Schliesslich tuckerten wir mit der Band, der Wünschenden und den Pferden an einem strahlenden Septembertag über den Pass. Es war grossartig.
In noch besserer Erinnerung ist mir aber die Geschichte des damals Neunjährigen aus einem Dorf in St. Gallen. Er war ohne Arme geboren worden, spielte leidenschaftlich gern Fussball und war grosser Fan des FC Zürich. Und er wünschte sich, einmal Balljunge beim FCZ zu sein. Es brauchte nicht viel Überzeugungsarbeit und weil womöglich noch Medienleute etwas wissen wollten, ging auch ich zu dem Spiel. Es war fantastisch: Vor dem Spiel konnte der Junge Fotos mit Spielern machen, die andern Balljungen waren neugierig und super nett und Sven Hotz drückte dem Vater spontan zwei Saisonkarten in die Hand. Während des Spiels konnte der Junge (pardon, Namen sind wirklich nicht meine Stärke) den einen oder anderen Ball einem Spieler zukicken und sich über zwei FCZ-Tore freuen. Leider schoss auch der Gegner zwei Kisten - das jedenfalls war der Stand nach 89 Minuten. In der 90. schnappte sich ein Zürcher den Ball und schlenzte ihn ins gegnerische Tor. 3:2. Unser Junge stand gleich neben dem Tor und als der Schiri abgepfiffen hatte, schenkte ihm der Torschütze sein Shirt. Die Zürcher nahmen den Jungen mit in die Garderobe, sagten ihm er sei heute ihr Glücksbringer gewesen und schenkten ihm Bälle und Shirts mit all ihren Unterschriften. Es war ein Riesengeschenk. Als der Junge aus der Garderobe zurückkam, leuchtete er, dass die Stadionscheinwerfer daneben verblassten.
Mein liebster Wunsch aber war einer, über den ich gar nicht soviel weiss. Und auch nicht wissen muss. Sie habe ihr Herz an den Lai da Rims verloren, einen Bergsee, zu dem sie vor Jahren gewandert sei. Nun habe sie nur noch ein Bein und schaffe es nicht mehr da hoch - und würde doch so gern den See nochmals sehen. Was genau die Frau an dem See fand, war ihre Geschichte. Ich musste sie nicht verstehen, ich musste nicht bohren, ich musste nur helfen, es möglich zu machen. "Wir holzen sowieso bald mal dort in der Gegend. Wir können sie mal am morgen mit hoch nehmen und am Abend wieder abholen." beschied man mir bei der Heli Bernina. Voilà.
PS. Noch kurz zu Dani Fohrler: Die beiden trafen sich in einem Café am Bahnhof Bern. Ich war anfangs dabei, damit sie sich sicher fanden. Ich vermutete, dass die Frau mit der Hilfe von Häkeldecken und Porzellanengeln durchs Leben ging - ich hätte keinen Satz mit ihr zu reden gewusst. Hinterher aber rief sie mich an und schwärmte: Es sei gewesen, als hätten sie und der Dani sich schon ein Leben lang gekannt. Fohrler hatte wenig bis nichts von dem Treffen und doch hat er sich die Zeit und die Mühe genommen. Davor ziehe ich meinen Hut.
PPS. Ein Wunsch der nicht in Erfüllung ging, war der nach Pro-Innerstadt-Gutscheinen; einem Basler Lokalbon. Damit sie sich wiedermal eine Freude leisten könne, meinte die Wünschende am Telefon. Pro Innerstadt lehnte ab. Im Nachhinein erfuhr ich, dass die Dame in Basel mehrere Häuser besass. Auch bei den Handicapierten gibt's solche und solche - und ich bin der Frau auf eine seltsame Art dankbar, dass sie mir das demonstrierte.
PPPS. Jahre später bin ich selbst mal in einem Führerstand mitgefahren, weil meine gute Freundin Lea ausgerechnet Lokomotivführerin wurde (ich bin nicht der einzige, der sein Leben nach Alliterationen ausrichtet). Selbstverständlich musste ich an KurtoderErnst denken, als wir so mit 200 Sachen über die Schienen bretterten. Was war ich froh, dass er seinen Wunsch doch noch erfüllen konnte!
PPPPS. Und nein, ich habe beim Schreiben dieses Textes selbstverständlich nicht geheult. Meine Augen haben einfach ein wenig getränt. Wegen dem Rotorenwind der Heli Bernina.