DER KARTENVERKÄUFER VOM KALTBRUNNENTAL - oder warum ich fast 50 Franken für einen Gruss von Papa, Hans, Berthy & Ernstli bezahlt hätte.
«Sag mal, du bist doch Historiker» schrieb mir meine Freundin Sibylle. «Ich habe auf ricardo.ch diese alte Postkarte von 1920 gefunden, vom Restaurant ‘Zum Kaltbrunnental’ in Himmelried. Mit einem Foto des Gebäudes sowie dem Bild von einem (das steht wirklich so!) «Neger als Kartenverkäufer». Kannst du dir darauf einen Reim machen?»
Ehrlich gesagt: ich konnte nicht. Aber was die Wollmaus für die Katze oder der Quietscheknochen für den Hund, das ist so eine Postkarte für den Historiker. Und weil gemeinsam spielen einfach mehr Spass macht, fragte ich als zweites meine Historikerinnen- und Historikerfreunde auf Facebook. Als allererstes tat ich indes einfach das Naheliegendste: Ich rief beim Restaurant an. Der freundliche Wirt hatte nicht die leiseste Ahnung. Schade.
Auch meine Freunde im Internet hatten zunächst wenig Ahnung, dafür aber umso mehr Fragen. Wie war die Person ins doch eher ländliche Himmelried gekommen? Wo waren allenfalls Akten zu ihr zu finden? Verkaufte sie Postkarten? Landkarten? Eintrittskarten? Was tat sie, wenn sie keine Karten verkaufte? War die Person überhaupt ein Mensch oder betrachteten wir vielmehr eine Statue oder gar einen Automaten? Und wenn es kein Mensch war, warum rauchte die Figur? Oder rauchte sie gar nicht und das war nur eine Struktur im Fels hinter ihr? Und was war das für ein Paket auf dem sie sass? Kolonialwaren? Baumwolle? Die Qualität des Bildes war schlecht genug, um alle möglichen Interpretationen zuzulassen. Und so wurde gerätselt und diskutiert, spekuliert, gefachsimpelt, analysiert und verglichen.
Parallel dazu schrieb ich verschiedene Institutionen an: die Gemeinde Himmelried, das Solothurner Staatsarchiv, die Solothurner Zentralbibliothek, einen Laufner Geschichtslehrer und einen uralten Schwarzbuben. Sogar jemand aus dem Museum des Nachbardorfs schaltete sich ein (die Frau hatte über Umwege von den Recherchen gehört). Und so verdichteten sich zahlreiche Ansichten, Ideen und Argumente nach und nach zu einem klareren Bild.
Der angebliche Afrikaner war ein Marketinginstrument. Ein Objekt aus (vermutlich) Gips, das mit seiner Exotik, seiner schwarzen Haut, seinem Bastrock und seiner (möglichen) Zigarette die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zog. «Schau mal Mami, da sitzt ein Neger!» «Tatsächlich. Mit einer Postkarte in der Hand. Du Hans, wollten wir nicht noch einen Gruss an Tante Frieda schicken? Die würde sich sicher freuen.» – So darf man sich das wohl ungefähr vorstellen.
Die Afrikaner-Attrappe von Himmelried reiht sich ein in ein grösseres Bild kolonialer Marketing-Exotik. Diese betrieb Verkaufsförderung mittels gängiger (rassistischer) Stereotype. So verkauften die «fröhlichen N*» Uncle Ben oder Aunt Jemima Reis bzw. Frühstücksnahrung. An Völkerschauen sorgten die «wilden N*» mit Tänzen und Speeren für Umsatz. Und ging's um's Spendensammeln, so waren «Nickn*li» nützliche Spendenbüchsen, die demütig-dankbar mit dem Kopf wackelten, wenn die Münze fiel. – Soweit, so schwierig, so gut fürs Geschäft.
Was es auch gab, waren Universalfiguren, schwarze Butler etwa, denen die Hutmacherin oder der Schuster aufs Tablett legen konnten, was sie anpreisen wollten. Und so eine Allzweck-Figur war wohl auch der «Kartenverkäufer» des Restaurants 'Zum Kaltbrunnental'.
Der Text auf der Postkarten-Rückseite ist übrigens (wie so oft bei Postkarten) ziemlich banal. «M(eine) Lieben! Vom Kaltbrunnenthal senden Euch herzlichen Sonntagsgruss, sind in Gedanken stets bei Euch: Papa, Hans u(nd) Berthy, Ernstli». – Gesendet wurde sie an: «Frau Bossardt-Rudin, Pension Bachtalen, Langenbruck». Langenbruck war ein Luftkurort, gut möglich, dass sich die Bossart-Rudins dort von einer Erkrankung erholten und deswegen ‘stets an sie gedacht’ wurde. Gestempelt wurde die Karte in Basel, vermutlich wurde sie auch erst dort aufgegeben.
Ebenfalls in Basel sass ich nun schon seit einer Weile an meinen Recherchen und beschloss zum Abschluss, bei der Online-Versteigerung mitzubieten. Nur zu gern hätte ich das Zeitdokument dem Museum Laufental geschenkt. Mal um Mal bot ich also mit - aber Mal um Mal wurde ich überboten. Als der Preis über 50 Franken kletterte, stieg ich aus. Das Museum Laufental hat sich immerhin für die gute Absicht bedankt. Ich hoffe, der Käufer oder die Käuferin führt sie ebenfalls einer öffentlichen Sammlung zu.
«Sag mal, du bist doch Historiker» schrieb mir meine Freundin Sibylle. «Ich habe auf ricardo.ch diese alte Postkarte von 1920 gefunden, vom Restaurant ‘Zum Kaltbrunnental’ in Himmelried. Mit einem Foto des Gebäudes sowie dem Bild von einem (das steht wirklich so!) «Neger als Kartenverkäufer». Kannst du dir darauf einen Reim machen?»
Ehrlich gesagt: ich konnte nicht. Aber was die Wollmaus für die Katze oder der Quietscheknochen für den Hund, das ist so eine Postkarte für den Historiker. Und weil gemeinsam spielen einfach mehr Spass macht, fragte ich als zweites meine Historikerinnen- und Historikerfreunde auf Facebook. Als allererstes tat ich indes einfach das Naheliegendste: Ich rief beim Restaurant an. Der freundliche Wirt hatte nicht die leiseste Ahnung. Schade.
Auch meine Freunde im Internet hatten zunächst wenig Ahnung, dafür aber umso mehr Fragen. Wie war die Person ins doch eher ländliche Himmelried gekommen? Wo waren allenfalls Akten zu ihr zu finden? Verkaufte sie Postkarten? Landkarten? Eintrittskarten? Was tat sie, wenn sie keine Karten verkaufte? War die Person überhaupt ein Mensch oder betrachteten wir vielmehr eine Statue oder gar einen Automaten? Und wenn es kein Mensch war, warum rauchte die Figur? Oder rauchte sie gar nicht und das war nur eine Struktur im Fels hinter ihr? Und was war das für ein Paket auf dem sie sass? Kolonialwaren? Baumwolle? Die Qualität des Bildes war schlecht genug, um alle möglichen Interpretationen zuzulassen. Und so wurde gerätselt und diskutiert, spekuliert, gefachsimpelt, analysiert und verglichen.
Parallel dazu schrieb ich verschiedene Institutionen an: die Gemeinde Himmelried, das Solothurner Staatsarchiv, die Solothurner Zentralbibliothek, einen Laufner Geschichtslehrer und einen uralten Schwarzbuben. Sogar jemand aus dem Museum des Nachbardorfs schaltete sich ein (die Frau hatte über Umwege von den Recherchen gehört). Und so verdichteten sich zahlreiche Ansichten, Ideen und Argumente nach und nach zu einem klareren Bild.
Der angebliche Afrikaner war ein Marketinginstrument. Ein Objekt aus (vermutlich) Gips, das mit seiner Exotik, seiner schwarzen Haut, seinem Bastrock und seiner (möglichen) Zigarette die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zog. «Schau mal Mami, da sitzt ein Neger!» «Tatsächlich. Mit einer Postkarte in der Hand. Du Hans, wollten wir nicht noch einen Gruss an Tante Frieda schicken? Die würde sich sicher freuen.» – So darf man sich das wohl ungefähr vorstellen.
Die Afrikaner-Attrappe von Himmelried reiht sich ein in ein grösseres Bild kolonialer Marketing-Exotik. Diese betrieb Verkaufsförderung mittels gängiger (rassistischer) Stereotype. So verkauften die «fröhlichen N*» Uncle Ben oder Aunt Jemima Reis bzw. Frühstücksnahrung. An Völkerschauen sorgten die «wilden N*» mit Tänzen und Speeren für Umsatz. Und ging's um's Spendensammeln, so waren «Nickn*li» nützliche Spendenbüchsen, die demütig-dankbar mit dem Kopf wackelten, wenn die Münze fiel. – Soweit, so schwierig, so gut fürs Geschäft.
Was es auch gab, waren Universalfiguren, schwarze Butler etwa, denen die Hutmacherin oder der Schuster aufs Tablett legen konnten, was sie anpreisen wollten. Und so eine Allzweck-Figur war wohl auch der «Kartenverkäufer» des Restaurants 'Zum Kaltbrunnental'.
Der Text auf der Postkarten-Rückseite ist übrigens (wie so oft bei Postkarten) ziemlich banal. «M(eine) Lieben! Vom Kaltbrunnenthal senden Euch herzlichen Sonntagsgruss, sind in Gedanken stets bei Euch: Papa, Hans u(nd) Berthy, Ernstli». – Gesendet wurde sie an: «Frau Bossardt-Rudin, Pension Bachtalen, Langenbruck». Langenbruck war ein Luftkurort, gut möglich, dass sich die Bossart-Rudins dort von einer Erkrankung erholten und deswegen ‘stets an sie gedacht’ wurde. Gestempelt wurde die Karte in Basel, vermutlich wurde sie auch erst dort aufgegeben.
Ebenfalls in Basel sass ich nun schon seit einer Weile an meinen Recherchen und beschloss zum Abschluss, bei der Online-Versteigerung mitzubieten. Nur zu gern hätte ich das Zeitdokument dem Museum Laufental geschenkt. Mal um Mal bot ich also mit - aber Mal um Mal wurde ich überboten. Als der Preis über 50 Franken kletterte, stieg ich aus. Das Museum Laufental hat sich immerhin für die gute Absicht bedankt. Ich hoffe, der Käufer oder die Käuferin führt sie ebenfalls einer öffentlichen Sammlung zu.